Das soeben aufgegebene “Doktorhaus” in Ziefen hat Dorfgeschichte geschrieben. Ziefen war lange Zeit das einzige Dorf im „Foiflibertal“ mit einem Arzt. Kürzlich ging eine lange Ära zu Ende: der letzte Arzt welcher seit 28 Jahren im Doktorhaus Nr. 79 im Unterdorf mietweise seine Praxis betrieb, zügelte in eine andere Liegenschaft im Mitteldorf Nr. 100.
Und die Erbengemeinschaft des Vorgängers, welche Besitzer seit 1953 war verkaufte das stattliche Haus. Die neuen Eigentümer wollen es in Wohnraum umgestalten. Es lohnt sich bei dieser Gelegenheit etwas Rückschau zu halten, stand doch das Doktorhaus über Jahrzehnte im Dorfmittelpunkt: unzählige Dorfbewohner und auch Personen aus den umliegenden Gemeinden gingen dort über die Eingangtreppe und Haustüre ein und aus um für ihre Bräschteli oder auch Notfälle Hilfe beim jeweiligen Arzt zu suchen. Meistens verliessen sie die Praxis versehen mit guten Ratschlägen aber auch mit Gütterli, Salben und Pillen in der Tasche oder im Hosensack.
Die Ärzte übten einen lebensnotwendigen Beruf aus und die Arbeit ging ihnen nie aus. Ein Landarzt begleitet praktisch die Menschen von “der Wiege bis zur Bahre”, müssen sie doch am Lebensende auch die Totenscheine ausstellen. Alle Menschen benötigen im Laufe ihres Lebens in irgend einer Weise ihre Dienstleistungen.
Als erster Arzt in Ziefen ist Jonas Matt bezeugt. Er lebte von 1773-1859. Wo er seine Patienten-Besuchstube hatte, ist nicht mehr bekannt. Das Doktorhaus erbaut 1845 im Dublonengarten, wo angeblich eine Anzahl Goldstücke gefunden wurden, stand den ebenfalls markanten Gebäuden wie Pfarrhaus (erbaut 1811/13) sowie Schulhaus (heute Gemeindehaus, erbaut 1847) in keiner Weise nach. Sie waren für die damalige Zeit grosszügig und sie sind alle freistehend auf der rechten Bachseite (Hintere Frenke), im Gegensatz zu den für Ziefen typischen geschlossenen Häuserzeilen auf der linken Bachseite. Alle drei prägen das Dorfbild in besonderer Weise: sie sind zweigeschossig mit Hochparterre und haben ein Krüppelwalmdach.
Der Erbauer des Doktorhauses war der Sohn des ersten Ziefner Arztes, Johann Jakob Matt (Ziefner Bürger, dieses Geschlecht ist heute im Dorf nicht mehr vertreten). Er lebte von 1814-1882. Er war nicht nur ein fachkundiger geschätzter Arzt sondern auch einer der einflussreichsten Politiker im jungen Kanton BL. Nicht weniger als 13 mal war er Landratspräsident und sogar Tagsatzungsgesandter in Baden. In diesem Gremium war sein Nachbar der Basler Bürgermeister Sarasin. Matt setzte sich stark für die neue Bundesverfassung ein und wurde 1848 nach der Gründung des Bundesstaates (wie wir die Schweiz heute kennen) als erster Baselbieter im ersten Wahlgang in den Nationalrat gewählt. Matt war aber auch Mitgründer der Hypothekenbank, der Basellandschaftlichen Zeitung und der Schweiz. Centralbahn-Gesellschaft 1852 (Vorgänger der SBB). Seine Grabrede hielt kein geringerer als sein Freund, der damalige Baselbieter Ständerat Martin Birmann.
Nicht weniger als sieben Ärzte waren in der Folge im Doktorhaus tätig, einige während Jahrzehnten. Hier die Ziefner Ärztegalerie: Johann Jakob Matt, Emil Kunz 1883-1888, Adolf Baumgartner 1888-1921, Georges Mattmüller 1921-1926, Heinrich Heusser 1926-1953, Heinz Theodor Wirth 1953-984, Edy Riesen 1985-2013.
Adolf Baumgartner wirkte bisher mit 33 Jahren am längsten in Ziefen als Arzt. Er war auch der erste Autobesitzer im Dorf (1906). Dieses Gefährt war ein Zweiplätzer mit Speichenrädern und einer Hudere.
Georges Mattmüller hatte im Dorf den ersten Radio (mit Kopfhörer). Später war er in Basel tätig und gab auch Radiovortrage. Er vertrat die Auffassung: Es gibt keine Krankheiten nur kranke Menschen. Auch erkannte er früh, dass durch Lärm Gesundheitsschädigungen auftreten können.
Noch zwei interessante Einzelheiten vom Doktorhaus: 1978 ereignete sich nachts ein Dachstockbrand und der Röntgenapparat “im tiefen Keller” war legendär.
Dass in Ziefen weiterhin eine örtliche ärztliche Versorgung möglich ist, dafür sorgt der Arzt Mathis Grehm am neuen Standort mit seiner Praxis im Dorfzentrum vis-à-vis des Gemeindehauses, im ehemaligen Krämerladen “bys Achele”.
Autor:Franz Stohler